Geißelung 1970

2,50 m breit
4 m hoch
Standort: Friedhofskapelle Schmallenberg

Beton wurde Leben eingehaucht
Der Auftrag aus seiner Heimatstadt Schmallenberg zur Gestaltung der neuen Friedhofskapelle kommt für Carl Siebert wie eine Erlösung.
Ende Juli 1969 schreibt er: „Ich wittere erneut eine Chance, die mich vor der Plattheit des Konsumlebens retten könnte. Einer Betonmauer Leben einhauchen! Den Stein erwärmen! Durch eine Betonwand – über Zeiten hinweg – mit anderen Menschen sprechen können. Oder mache ich mir da falsche Vorstellungen? Ist innere Tiefe überhaupt gefragt? Ist alles das, was über dekorative Friedhofskunst hinausgeht, den Menschen angenehm und verständlich? Schwebe ich nicht schon wieder im luftleeren Raum und bilde mir ein, mit Hilfe einer gestalteten Mauer einfache Menschen zum Denken und Nachdenken zu bringen? Und – wenn diese Fragen einen positiven Wert besitzen sollten: bin ich dazu aufgerufen, eine Betonmauer zu verinnerlichen?“

Gott so nicht greifbar
Später kritzelte Carl Siebert in sein Skizzenbuch: „ Ich werde die Themen der Heilslegende entnehmen, um dem allgemeinen Verständnis einen Ansatzpunkt zu geben. Aber ich sehe schon nach den ersten Skizzen, daß ich sie nicht gegenständlich machen werde. Die sakrale Bildwelt von gestern reicht nicht mehr aus, um die Tiefe des religiösen Geschehens zu vermitteln. Meine Entwürfe werden abstrakt!

Schicksal des Menschen
Die Themen der Heilslegende, die Carl Siebert schließlich auswählt, sind für ihn „gleichermaßen Stationen des menschlichen Schicksals“. Das Schicksal des Menschen das sich in Christi Leben und Sterben widerspiegelt. Und so sieht er die sechs symbolisch-abstrakten Flachreliefs:

  • G e b u r t – oder der werdende Mensch;
  • G e t h s e m a n e – oder der zweifelnde, ringende Mensch, der Mensch auf dem Wege zur Wahrheit;
  • G e i ß e l u n g – oder der aufrechte Mensch, der Marter und Verfolgung leidet;
  • D o r n e n k r o n e – oder der entwürdigte Mensch;
  • K r e u z i g u n g – oder Todesfurcht des Menschen. Überwindung des Todes. Läuterung und Vollendung;
  • A u f e r s t e h u n g – oder der erlöste Mensch. Umwandlung des Stoffes in Geist. Vereinigung mit Gott und der Ewigkeit

Diese Gedanken in Beton zum Ausdruck zu bringen erfordert mehr als technisches Können. Es verlangt den Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Das wird aus einer Bemerkung im Skizzenbuch deutlich: „Ich bin allein mit meiner Mauer.“

Wenn es mal klingelt, dann ist es der Gasmann, der mir den Hahn wieder aufdrehen will, weil ich meine letzten Rechnungen bezahlt habe. Oder die alte, einsame Tunesierin aus der Mansarde schlürft vorbei und horcht neugierig an der Tür; oder die Concierge schiebt mir eine neue Rechnung unter die Türschwelle. Ich zeichne mit schwarzer Kreide eine große Kreuzigung an die Wand. Die Wand ist nicht hoch genug, und ich zeichne an der Zimmerdecke weiter.“

Die Reliefs, so Carl Siebert, warten nun auf die Kommunikation mit dem Betrachter. „Ich überlasse es seiner Aufnahmefähigkeit und seinem guten Willen, die Quintessenz zu finden. Sie müssen durch das innere Auge gesehen werden, denn sie sind durch das innere Auge entstanden. Eines ist gewiß: sie sind keine Konsumartikel mit etikettierter Gebrauchsanweisung! Es fällt mir im Traum nicht ein, die Gedankenträgheit der Welt noch zu unterstützen.“

Die Reliefs sind wirklich keine „Konsumartikel“. Man sollte sie gesehen haben. Und die Friedhofskapelle dazu.
Und die Umgebung.
Das Hochsauerland ist um eine Sehenswürdigkeit reicher!

Zeitschrift „Sauerland“ 1972 E.U.